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Ist der Asylantrag bewilligt, kommt der Brief. In dem steht: „Ein weiterer Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft ist nicht mehr erforderlich und auch nicht mehr zulässig.“
Der Platz wird für die Neuen gebraucht. Aber eine eigene Wohnung zu finden, überfordert viele Flüchtlinge. Wie viele verzweifelt suchen? Die Zahlen schwanken, sagen Behörden. Wohnraum ist teuer - bezahlbarer Wohnraum selten.
Schlimmstenfalls enden Monate einer Flucht dann irgendwo in einem Obdachlosenheim; am Hauptbahnhof München zum Beispiel. So wäre es auch fast für Rony ausgegangen – fast.
"Welche soll ich für den Salat nehmen, die?" Mit einem lauten Scheppern zieht Rony eine Porzellanschüssel aus dem Küchenschrank. Am Herd nimmt Miss Monika gerade die mit Reis gefüllte Paprika aus dem Kochtopf, legt sie auf den Teller zur Zucchini. Miss Monika dreht sich zu Rony, wirft einen kurzen Blick auf die Schüssel und nickt zustimmend: "Klar. Du kennst doch die Küche genauso gut wie ich. Warum fragst du überhaupt?"
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Er fragt, weil er sich rückversichern will und das am liebsten immer. Die Meinung von Miss Monika, wie Rony Monika P. nennt, ist ihm wichtig. Ein Treffen mit Journalisten? Nur, wenn Miss Monika dabei ist. Eine Aufnahme mit dem Diktiergerät? Ein kurzer Blick zu Miss Monika, sie sagt passt schon, also willigt Rony ein.
Sie teilen sich fast alles Rony wohnt seit über einem Jahr im Haus von Monika P. im oberbayrischen Ottobrunn. Die beiden haben eine Art WG.
Rony, 27, Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien, bewilligter Asylantrag und Monika P., 60 Jahre, Sekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei.
Wenn sie miteinander sprechen, wechseln sie von Deutsch zu Englisch zu Deutsch. Die beiden teilen sich die Waschmaschine, die Dusche, den Fernseher, den Kühlschrank – eigentlich alles.
Flucht mitten in der Nacht
Vor zwei Jahren ist Rony aus Syrien geflohen. Kaum jemand wusste von seinen Plänen, nur seine Eltern, Geschwister, ein paar Onkels und Tanten. Wäre er geblieben, hätte er zum Militär gemusst. Wie sein Bruder.
Aber in Syrien bekomme man als Soldat quasi kein Geld, sagt Rony, und müsse von der Familie finanziert werden. Zwei Söhne beim Militär, das hätte sich die Familie nicht leisten können. Außerdem wollte Rony nicht kämpfen. Irgendwann wurde es ihm deshalb zu heikel und er ist gegangen. Mitten in der Nacht. Ganz unauffällig, mit einem kleinen Rucksack, ohne zu wissen wohin. Bloß weg. Das war in 2012.
Einen Monat und er wäre ein gemachter Mann gewesen
Einen Monat länger, eine Klausur mehr und er hätte einen Uniabschluss gehabt, sagt er und zuckt resigniert mit den Schultern. Als Übersetzer für Englisch-Arabisch, mit Aussichten auf einen soliden Job in der Wirtschaft oder als Lehrer.
Aber der eine Monat war ihm zu viel. Auf dem Weg zur Uni waren ständig Straßensperren. Von der Regierung, oder der Opposition. Alle waren sie auf der Suche nach Männern für ihre Truppen – Rony wollte das Risiko nicht länger eingehen.
Wie genau er dann nach Deutschland gekommen ist, durch welche Länder und Städte, darüber möchte er nicht sprechen. Das sei eine Sache zwischen ihm und den Behörden. Irgendwie sei er jedenfalls in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Ottobrunn gelandet. „Und wichtig ist, dass ich jetzt hier bin“, sagt er und schaut zu Miss Monika. Sie nickt zustimmend. Der Brief
Dann kam der Brief von der Regierung Oberbayern. In dem stand, dass Rony aus der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber raus müsse. „Ich wusste nicht, wohin ich sollte und wie ich an eine Wohnung komme“, sagt Rony. Und wenn er erzählt, kann man noch heute, ein Jahr später, nachempfinden, wie verzweifelt er gewesen sein muss.
Bei der AWO habe er nachgefragt. Nichts. Bei der Caritas. Nichts.
Der Asylhelferkreis in Ottobrunn hat einen Aushang im Schaukasten vor der Kirche gemacht. Nichts. Und dann die Idee: Rony könnte sich nach dem Sonntagsgottesdienst kurz vorstellen, vielleicht hat dann jemand Mitleid, wenn er den jungen, gepflegten Mann sieht.
Vor der Kirchengemeinde um Hilfe bitten? Rony sagt erst Nein
Rony hat diese Idee zuerst gar nicht gefallen. Vor die ganze Gemeinde? Deutsch konnte er auch nicht, weshalb jemand für ihn sprechen müsste. Er hat erst einmal „Nein“ gesagt. Als zwei Wochen später noch immer keine Wohnung in Sicht war, hat er notgedrungen seine Meinung geändert.
Am Samstagabend und am Sonntagmorgen hat er dann nach dem Gottesdienst vor der Gemeinde gestanden. Neben dem Mann, der ihn vorgestellt hat: „Das ist Rony“, habe der gesagt, „Rony sucht eine Wohnung.“ Gefühlt habe er sich ein bisschen, wie auf dem Viehmarkt. Naja, und den Rest müsse Miss Monika erzählen.
Monika P. fühlte sich einsam
Monika P. saß nämlich in der Kirchenbank und dachte, wenn sich da jetzt keiner meldet, dann muss der junge Mann am Ende noch ins Obdachlosenheim. Das habe ihr keine Ruhe gelassen. Sie ist alleinstehend. Ihre Kinder sind aus dem Haus, ihr Mann im vergangenen Jahr ganz plötzlich gestorben. Eigentlich hatte sie schon oft gedacht, dass ihr Haus viel zu groß für sie ist und dass sie so einsam ist und dann war da dieser verzweifelte Syrer.
Also hat sie nach dem Gottesdienst beim Asylhelferkreis angerufen und ein Zimmer angeboten. „Ich hätte ja nie gedacht, dass die mein Zimmer wollen, sondern eher eine ganze Wohnung.“
Denn für Asylbewerber, deren Verfahren nicht abgeschlossen ist, mieten Kommunen nur abgeschlossene Wohnungen. Aber dann wollten der Asylhelferkreis es doch. Denn Ronys Verfahren war bereits abgeschlossen und das Angebot von Monika P. ist das einzige geblieben.
Zwei Wochen später ist Rony bei ihr eingezogen. Jetzt fahren die beiden zusammen zum Wandern, Rony mäht Rasen, Miss Monika unterstützt beim Ausfüllen von Formularen. Sie helfen sich, wo sie können, sind trotzdem beide unabhängig. Kellnern und Deutsch lernen
Vormittags arbeitet Rony in einem Hotel ganz in der Nähe, hilft beim Frühstück als Kellner aus. Nachmittags und abends lernt er Deutsch. Er muss noch zwei Kurse machen, dann kann er in Deutschland anfangen zu studieren. Er hofft, dass ihm einiges anerkannt wird und er nicht bei Null anfangen muss.
Manchmal, wenn Rony und Monika P. beide zu Hause sind, dann kochen sie auch zusammen. So wie heute: Lammfleisch, Reis, Grünkern, gefülltes Gemüse – typisch syrisch. Rony nimmt eine zweite Portion. Er kommt gerade vom Sport, war im Fitnessstudio. Da hat man Hunger, sagt er schmunzelnd. Außerdem schmeckt es ihm auch. Es ist ein altes Familienrezept, das er da gekocht hat.
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Um seine Familie zu Hause in Syrien macht Rony sich große Sorgen. Er will deshalb auch nur seinen Vornamen in der Geschichte lesen. Die Islamisten des ISIS sind auf dem Vormarsch in seine Heimatstadt. „Ich bin zwar hier in Sicherheit, aber mir sind die Hände gebunden“, sagt er.
Miss Monika hört einfach zu
Wenn er am Abend mit seiner Familie telefoniert, muss er danach immer erst einmal mit Miss Monika sprechen. Die sitzt dann meist im Wohnzimmer mit einem Gläschen Wein und schaut fern. „Wenn ich reinkomme, dann schaltet sie ihn immer aus, den Fernseher“, sagt Rony. Das sei nicht selbstverständlich, aber so wichtig sagt er. Er weiß, für ihn ist es so gut, dass es jemanden gibt, mit dem er reden kann, der ihm einfach zuhört.
Monika P. macht das gerne. Aber auch für sie ist es nicht immer leicht. Sie sei eine gefestigte Person, sagt sie, mit einigen Schicksalsschlägen im eigenen Leben. Das hilft. Zum einen, um Rony aufbauen zu können; zum anderen, um das, was Rony erzählt, zu verarbeiten. Bürgerkrieg, Terrormilizen, Hinrichtungen: Die psychische Belastung ist auch für sie als Zuhörerin recht groß. Würde es für sie zu viel werden, dann würde sie auch einen Psychologen einschalten, sagt sie. Aber im Moment sei das nicht nötig.
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Jeden, der es sich zutraut, würde sie ermutigen, auch einen Flüchtling wie Rony bei sich aufzunehmen. „Es gibt so viele einsame alte Menschen hier, vor allem auf dem Land“, für die könne jemand wie Rony eine echte Bereicherung sein, sagt Monika P.
Ronys und Monika P. großer Wunsch: Auch Ronys Familie ins sichere Deutschland holen zu können. Denn als Christen in Syrien schweben sie ständig in Gefahr. Aber die Chancen stehen schlecht. Denn die Familie müsste eine Krankenversicherung zahlen können und den Lebensunterhalt in Deutschland. Und den Flug. In Zeiten des Krieges unfassbar viel Geld. Geld, das Ronys Familie im Moment einfach nicht hat.
Quelle: huffingtonpost.de