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Opernprojekt „Die Regentrude“ - Wo ein Wille, ist auch Platz fürs Unmögliche

Musikunterricht steht auf der Liste der bedrohten Schulfächer ganz oben. Eine Frankfurter Grundschule stemmt sich mit der Kinderoper „Die Regentrude“ gegen den Trend. Und die Schüler erleben, wie sie mit Musik über sich hinauswachsen.

"Dunst ist die Welle, Staub ist die Quelle! Stumm sind die Wälder, Feuermann tanzet über die Felder!“ Der Gesang der Bauern und Mägde hebt beschwörend an. Die Streicher des Orchesters schrauben sich in die Höhe, bis eine Schar Kinder in Bauerntrachten und blauen Kopftüchern schließlich mit voller Kraft singt. Sie wollen die Regentrude wecken. Denn nur weil sie eingeschlafen ist, konnte der Feuerkobold Eckeneckepenn über viele Jahre sein Unwesen treiben und fruchtbare Äcker zu Staub verwandeln. Die Felder bringen keine Ernte mehr, die Menschen hungern. Verzweifelt wenden sie sich an die Göttin - die aber schlummert im grauen Regencape am Bühnenrand. Und während die Felslandschaft um sie herum das gleißende Licht der Sonne spiegelt, führt Eckeneckepenn im feuerroten Gewand sein höhnisches Tänzchen vor den Bauersleuten auf.

Opernprojekt „Die Regentrude“: Wie Grundschulkinder mit Musik über sich hinauswachsen

Bild: © RAINER WOHLFAHRT

Theodor Storm hat das Märchen von der „Regentrude“ geschrieben, die Geschichte von der todbringenden Hitze und Trockenheit. Ausgerechnet der Husumer Dichter, in dessen grauer Stadt am Meer es häufiger regnet, als dass die Sonne schiene, beschrieb mit eindrucksvollen Bildern, was für eine Katastrophe es ist, wenn der Regen ausbleibt. Weil Storms romantische Novelle über echte und vermeintliche Klimagewinnler, vor mehr als hundertfünfzig Jahren entstanden, heute aktueller ist denn je, agieren die Kinder auf der Bühne so überzeugend. Sie begreifen, was sie dem Publikum erzählen, vorspielen und vorsingen. Als nach ihrem fünfundsiebzigminütigen Einsatz auch die kleine Regenfrau auf der Bühne schließlich schlaftrunken aufsteht und mit jeder Wolke, die sie aus dem Regenschloss ins Freie wedelt, ihr Gesang immer strahlender erklingt, da bemerken auch wir, welchem Wunder wir gerade beigewohnt haben.

Noten gibt es eben nicht nur im Zeugnis

Wie aus dem Nichts heraus haben Kinder einer Frankfurter Grundschule eine Oper aufgeführt. Kinder, von denen die meisten noch nie gemeinsam gesungen haben. Von denen kaum eines eine Oper gesehen hat. Und von denen keines je im Kostüm auf einer Bühne aufgetreten ist. Nun sind es fast anderthalb Stunden, spielend und singend vor Publikum, begleitet von einem Orchester aus Jugendlichen.

Von Klaus Uwe Ludwig komponiert, ist die „Regentrude“ eher Singspiel als Oper - und der Wiesbadener Komponist nahm Rücksicht auf die stimmlichen Fähigkeiten von Kindern. Dennoch ist alles da, was zu einer richtigen Oper gehört. Von der Ouvertüre, die die wichtigsten Klangmotive vorstellt, über musikalische Themen für bestimmte Figuren, Schauplätze und Sphären bis zu einer komplexen Harmonik, die das Tonale immer wieder verlässt. Kein geringer Anspruch an die sechsundzwanzig Sechs- bis Zehnjährigen, die unter Noten bislang vor allem Zensuren unter Arbeiten und im Zeugnis verstanden hatten.

Eigentlich sprach alles gegen dieses Projekt

Neun Monate dauerten deshalb die Proben, während deren sie die anspruchsvolle Rhythmik ebenso verinnerlicht haben, wie sie die Dynamik der Partitur begreifen lernten. Ton für Ton haben sie sich Agogik, Tempo und Schwankungen einverleibt. Der musikalische Schatz ist ihnen dabei in den Schoß gefallen - subversiven Wissenserwerb nennen das Pädagogen. Ahnungslos hatten die Schüler sich auf das Abenteuer eingelassen, das sie über den Umweg deutscher Literatur und klassischer Musik zuletzt über sich hinauswachsen ließ. Als nach der letzten Vorstellung die kleinen Sänger in ihren spätromantischen Kostümen sich wieder und wieder verbeugen müssen und sie erlöst zu kichern beginnen, ist die harte Probenarbeit vergessen.

Vielleicht ist dies für manche der Anfang für ein Leben mit Musik. Vielleicht sogar für eines auf der Bühne. Wahrscheinlicher ist, dass dies Erlebnis einmalig bleibt. Singulär ist die Sache aber auch deshalb, weil die Geschichte von der Entstehung der Frankfurter „Regentrude“ selbst wie ein Märchen klingt. Am Anfang war da nur die Idee, mit Kindern zu singen. Dann kamen immer mehr Menschen dazu, die das große Zusammenspiel schließlich möglich machten. Dabei sprach eigentlich alles dagegen - zumal im laufenden Betrieb einer Grundschule. Und nicht zuletzt angesichts der Erkenntnis, dass kein Unterrichtsfach in Deutschland häufiger ausfällt als Musik.

Bei ein paar Liedern wollte sie es nicht belassen

Schon lange warnen Lehrerverbände, Orchester und der Musikrat vor den Folgen. Doch die musikalische Erziehung von Kindern ist hierzulande längst zur Privatsache geworden. Wer Klavier, Geige oder Flöte spielen will, muss in die Musikschule gehen oder Privatstunden nehmen. In den Grundschulen werden Noten spät oder gar nicht gelernt. „Nur Rasseln und Schütteln aber ist Erstklässlern kaum zuzumuten“, kritisierte Anne-Sophie Mutter einmal diese Verhältnisse.

Dabei weiß nicht nur die Geigerin, wie wichtig eine musikalische Erziehung für Kinder ist. Wer musiziert, lernt spielend. Und längst nicht nur seine Geige zu beherrschen. Von Stressbewältigung über Feinfühligkeit bis hin zu sozialer Kompetenz schult die Musik ein ganzes Arsenal weiterer Fähigkeiten. Deshalb gilt noch immer, was Otto Schily vor Jahren sagte: „Wer Musikschulen schließt, gefährdet die öffentliche Sicherheit.“

Bezeichnend ist, dass die Frankfurter „Regentrude“ ihren Anfang ausgerechnet bei einer Aushilfslehrerin genommen hat, die gar keine ausgebildete Lehrerin ist. Ruth Zetzsche ist im Hauptberuf Sängerin und geriet vor drei Jahren durch Zufall ins Schulgeschäft. Sie sollte den Betrieb eigentlich nur am Laufen halten. Der Musikunterricht an der Schule war wieder einmal zum Erliegen gekommen, nachdem die Musiklehrerin in Elternzeit gegangen und Ersatz nicht zu finden war. Auch wenn sie keine Lehrerin sei, sie könne ja immerhin singen, dachte man in der Schulleitung, als Ruth Zetzsche sich um die Stelle bewarb: Dann solle sie das eben mit den Kindern tun - denn singen sei schließlich immer gut. Wer die zupackende Altistin, die vor allem als Liedsängerin und Kirchenmusikerin konzertiert, jedoch einmal bei der Sache erlebt hat, hätte ahnen können, dass sie es nicht bei ein paar Liedern belassen würde. Warum nicht eine Oper?

Musizieren ist kein Ponyhof

Die Musikerin hat damit einen ganzen Schulbetrieb aufgerüttelt. Und so wenig sie sich zuvor mit Schulpädagogik beschäftigt hat, so entschlossen wirkt sie auf ihrem Feld. Als Tochter des Opernsängers Albert Zetzsche sei sie praktisch „unter dem Flügel groß geworden“, erzählt sie. Mit ihrem Vater zog sie von Stadt zu Stadt, von Engagement zu Engagement, von Leipzig nach Chemnitz nach Gera, durch die halbe DDR, die Musik aber blieb die Konstante. Und wenn der Bariton zu Hause am Klavier seine Rollen einstudierte, nahm die kleine Tochter die Geschichten von Don Giovanni und dem Barbier von Sevilla, von Graf Luna und Eugen Onegin in sich auf. Etwas von diesem Zauber möchte Ruth Zetzsche den Kindern weitergeben: „Dass sie, indem sie sich in Geschichten hineinbegeben, andere Gefühle kennenlernen, und dass nichts so großartig ist, wie Gefühle singend auszudrücken.“

Große Bühne für die Kleinen, die mit Inbrunst singen, auch wenn die wenigsten von ihnen schon mal in der Oper gewesen sind: Aufführung der „Regentrude“. Bild: © RAINER WOHLFAHRT

Dass Musikmachen allerdings kein Ponyhof ist, sondern Ausdauer, Disziplin und eine gewisse Strenge erfordert, auch das stand für die Leipzigerin, der man den Tonfall ihrer Heimat noch anhört, nie außer Frage. Vom Tonband Musik abzuspielen und Kinder dazu trällern zu lassen, wie dies im Musikunterricht bisweilen geschieht, käme für sie nicht in Frage.

Durch die Probenarbeit lernte die Sängerin nicht nur den Alltag in einer Schule kennen, sondern zugleich ein ganzes Stadtviertel - und band es in ihre Mission ein. Die einstige Arbeiter-und -Arme-Leute-Gegend im Frankfurter Osten ist ein besonderes Pflaster. Da wohnen Ausländer aus aller Herren Ländern, nicht nur aus solchen, wo westliche Kultur eine Rolle spielt. Künstler schätzen den günstigen Wohnraum in unmittelbarer Nähe zur City seit je. Die zugezogene Europäische Zentralbank, deren furioser Doppelturm neuerdings über dem Viertel thront, hat den Wandel noch einmal befeuert. Plötzlich erstrahlen marode Altbauten in neuem Glanz, Wasserhäuschen mussten Veganer-Cafés weichen, und die Mieten erklimmen ungeahnte Höhen.

Blumenschmuck und Matzebrot

All diese Strömungen spiegeln sich in der Grundschule des Viertels wider. Und so fremd sich die Welten, die morgens am Schultor aufeinanderprallen, bisweilen sind und so wenig Berührungspunkte sie jenseits des Schulhofs haben, fanden sie ausgerechnet in einem Opernprojekt einen gemeinsamen Nenner, an dem sich Kinder aus zwölf Nationen beteiligten.

Der Integrationsprozess geht darüber hinaus: Als Ruth Zetzsche von dem jüdischen Altenzentrum in der Nähe der Schule erfuhr, kam sie auf die Idee, die Alten und die Kinder zusammenzubringen. Wochen später bastelten die Kinder in dem großen weißen Gebäude neben der Synagoge, das sie nie zuvor betreten hatten, gemeinsam mit den Bewohnern Blumenschmuck für die Bühnengewänder - und aßen Matzebrot mit ihnen.

Es muss nicht alles simpel sein

Auch der Hort, in dem viele der Schüler ihre Nachmittage verbringen, liefert zu und produziert mit Kindern Videofilme, die während der Aufführung auf eine Leinwand projiziert werden. Und schließlich bindet Ruth Zetzsche eine Einrichtung für Behinderte ein, die mit dem „Atelier Eastend“ über ein eigenes Künstlerhaus verfügt. Behinderte bauen Requisiten wie die in verschiedenen Farben leuchtende Felslandschaft. Helge mit dem Down-Syndrom gefällt die „Regentrude“ so gut, dass er unbedingt mitspielen möchte und sich, als Baum verkleidet, unter die singenden Kinder auf die Bühne gesellt.

Dabei hatte Helge auf den Proben erlebt, wie schwer sich die Kinder mitunter tun. Dass in der „Regentrude“, zu der Sibylle Geißler das Libretto schrieb, kaum C-Dur und d-dorisch gesungen wird, ist eine Herausforderung. Dennoch ist der Komponist Klaus Uwe Ludwig überzeugt davon, dass Kinder „zu viel mehr fähig sind, als man ihnen gemeinhin zutraut“. Das hat der frühere Wiesbadener Kantor in jahrelanger Chorarbeit erfahren: wie unvoreingenommen Kinder auch schwierige Intervalle und ungewöhnliche Taktarten lernen können und wie viel Spaß sie daran haben. Ist in Schulen heute von Musiktheater die Rede, sind oft Musicals gemeint. Ein Musical aber ist die „Regentrude“ gerade nicht. Bewusst verzichtet Ludwig auf vordergründige Rhythmik und schmissige Songs. Bei aller freien Tonalität, die an die Musik César Francks erinnert, ist sein Singspiel auch schwungvoll und fröhlich, und die traumschöne „Ballade von der Regentrude“, die mit jeder Strophe einen halben Ton höher steigt, bekommt man so schnell nicht mehr aus dem Ohr. Viele Besucher summen das Lied auf dem Heimweg.

Den anderen spüren und doch bei sich bleiben

Bis die Stücke bei den Kindern sitzen, dauert es. Woche für Woche proben sie im Musikraum der Schule, Ruth Zetzsche immer am Flügel. Später fahren sie zu einem Proben-Wochenende in eine Jugendherberge, wo sich zur selben Zeit außer den singenden Kindern auch das Langener Blasorchester eingenistet hat.

„Mir fiel auf, wie viele Kinder aus den Emigrantenfamilien keine Großmutter haben, wie sie im Stück vorkommt“, erzählt Ruth Zetzsche, „weil sie aus Krisengebieten stammen, wo ihre Großeltern immer noch leben.“ Die Kinder lieben die Geschichte von der „Regentrude“ trotzdem. Und sie lernen, dass sie Teil eines großen Ganzen sind, darin aber zugleich als Individuen ganz wichtig. Immer wieder macht Ruth Zetzsche Übungen, in denen es ums Hören und aufeinander Reagieren geht. „Den anderen zu spüren, aber bei sich zu bleiben“, nennt das Ruth Zetzsche: Es geht um Eigenständigkeit, und trotzdem müssen die Kinder erst einmal begreifen, beim Singen auf den Dirigenten zu schauen und nirgendwohin sonst.

Tut einfach so, als ob ihr euch liebt

„Ihr braucht keine Angst haben“, ruft Werner Fürst ihnen zu, „guckt einfach zu mir hin, ich spreche den Text mit.“ Der Gymnasiallehrer aus Heusenstamm, der die Grundschüler mit seinem Schulorchester „Young Strings“ begleitet, findet ansprechende Bilder für seine Erklärungen: „Denkt daran, immer Wölkchen bilden in der Luft“, erklärt er den Streichern, die den Bogen rund spielen sollen.

Augen zu und durch: Auch das Schminken gehört zu den Vorbereitungen für den großen Auftritt.

Bild: © RAINER WOHLFAHRT

Nach zwei Stunden Probe sind die Kinder zappelig. Doch bevor es in die Pause geht, muss das Wolken-Motiv geprobt werden und das Solo vom Feuerkobold. Und dann hat sich auch noch der Komponist angekündigt. Ruth Zetzsche ist nervös. „Ich probe so lang mit euch, bis Ihr das ,t‘ am Ende vom Lied alle gleichzeitig trefft.“ Auch die Auf- und Abgänge klappen nicht, ein Junge vergisst sein Werkzeug mit auf die Bühne zu nehmen. Und die Kinder, die ein Hochzeitspaar spielen, sollen sich an der Hand nehmen. „Iiih nein“, rufen beide. „Ihr liebt euch“, entgegnet Ruth Zetzsche, „aber das ist nicht echt, sondern ihr tut nur so, als ob.“

Kräfte, mit denen niemand gerechnet hat

Auch für Ruth Zetzsche ist die „Regentrude“ einmalig. So viele Leute hat sie noch nie versammelt. So viele Briefe geschrieben, an Ministerien und Stiftungen, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Die vier Auftritte haben am Ende siebentausend Euro gekostet. Stundenlang Gespräche hat sie deshalb geführt, Tausende von E-Mails gewechselt - „und das alles ohne Sekretärin und Putzfrau“, sagt die alleinerziehende Mutter.

Woher kommt dieser Enthusiasmus? Es steht jedenfalls fest, dass ein Schulsystem, das für solche Extravaganzen Raum lässt, damit bei allen Beteiligten Kräfte mobilisieren kann, mit denen niemand gerechnet hatte. Profitiert davon hat das Publikum, das eine besondere Aufführung erlebte. Und zuallererst die Kinder.

Quelle: faz.net

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