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Der Mann, der Häuser aus Abfall baut


Der Amerikaner Michael Reynolds baut aus Dosen, alten Autoreifen und anderem Abfall energieautarke Häuser. Er exportiert seine Konzepte in alle Welt – demnächst auch nach Deutschland.


Müll stinkt, verschmutzt die Umwelt, stapelt sich auf Halden. Es gibt viel zu viel davon. Also baute Michael Reynolds in der Wüste New Mexicos sein erstes Haus aus alten Bierdosen. Man hielt ihn für einen Spinner. Es war 1971. Im Fernsehen liefen damals Berichte darüber, dass Weißblech-Dosen zum Problem würden. Im Fernsehen hieß es auch, dass großflächige Rodungen im Norden Amerikas wahrscheinlich negative Folgen für die Umwelt haben könnten. Man war sich nicht sicher, die US-Sender waren der Industrie sehr verpflichtet. Es gab in Zukunft also nicht nur zu viel Müll, sondern wahrscheinlich auch zu wenig Holz. So fing alles an.


An einem kalten Wintermorgen, mehr als 40 Jahre später, steht Reynolds, 69, zerzauste graue Mähne, auf dem Dach eines seiner Häuser. „Earthships“ nennt er sie, Erdschiff. Reynolds nennt es „ein Schiff, das auf dem stürmischen Ozean der Zukunft nicht untergeht“. Ein bisschen blumig, ein bisschen überdreht, das passt zu Reynolds. Deshalb hielt man ihn anfangs ja für einen Spinner. Jetzt tut das keiner mehr.

Hier oben, auf diesem Dach, hat Reynolds einen ganz guten Überblick über sein Werk. Gut hundert seiner Häuser ducken sich hier in die karge Landschaft New Mexicos. Gebilde aus Glas, Lehm und Autoreifen, die aussehen, als hätten Gaudí oder Hundertwasser sie gebaut, manche sind groß mit Gewächshäusern, einem kleinen Dschungel mit Fischteich und Wasserfall, andere sind schlicht und funktional, eingegraben, als suchten sie Schutz vor dem eisigen Winter. Eines haben Reynolds’ Häuser gemeinsam. Sie brauchen kein Stromnetz, keine Wasserversorgung, keine Heizung, keine Klimaanlage. Sie versorgen sich selber, sie recyceln ihr Abwasser selbst.


„Architektur ist heute Masturbation“

Reynolds ist Architekt, aber eigentlich trifft es das nicht. Architekt ist zu konventionell. Architekten sind Typen, die zu oft das Falsche tun, so sieht er das. Reynolds sagt: „Architektur heute ist Masturbation.“ Es gebe die Stars, die als die guten Architekten gelten. Libeskind, Foster und natürlich Frank Gehry, der verspielteste von allen, solche Leute, die ihre Ideen verwirklichen, ihre Häuser fast wie Skulpturen bauen, sich aber einen Teufel um die Funktionalität, den Wert für den Bewohner oder gar die Welt scheren. Und dann gebe es das Heer der anderen. Die kämpften ums Überleben und bauten jeden Scheiß, nur weil sie das Geld brauchten.


Reynolds will damit nichts zu tun haben. Er baut auf seine Art oder gar nicht, Häuser aus Müll, ohne Kompromisse. Die Bevölkerung der Welt wächst, die Energie wird knapp, das Wasser, die Rohstoffe. Der Mensch muss sich Gedanken machen. Der Architekt auch. Denn Energie, Wasser, Rohstoffe sind Dinge, die man braucht, um Häuser zu bauen und darin zu leben. Dass das mal ein Problem sein würde, mag in den 70er-Jahren wie eine Utopie gewirkt haben, die sich ein Verrückter in der kargen Weite New Mexicos ausgedacht hatte. Heute glaubt kaum noch wer, dass die Menschheit einfach so gedankenlos weiterleben kann wie im letzten Jahrhundert. Es glaubt auch kaum noch wer, dass Reynolds bloß ein verrückter Fantast ist.

Denn seine Ideen verbreiten sich gerade mit rasanter Geschwindigkeit um den Erdball. Seine Earthships stehen in Holland, der Normandie, in Spanien, Schottland und England. Sie stehen in Portugal und Schweden, Jamaika und Brasilien. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen. Tausende Häuser weltweit, sagt Reynolds. Er hat angefangen, sie in Ländern und Gegenden zu bauen, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Als schnelle Hilfe für die Bevölkerung und als Schutzräume gegen die Stürme. Und er hat vor ein paar Jahren eine Akademie gegründet, an der junge Architekten lernen, wie man aus Material, das es überall gibt, und mit Abfällen, die es auch überall gibt, Häuser bauen kann, die nichts benötigen außer Sonne und Regen.


„Am Anfang“, sagt Reynolds während er auf dem Hausdach seine Mähne unter eine Schaffellmütze stopft, „als ich Kollegen erzählte, was ich machte, ließen sie mich am Tresen stehen und sagten mir, ich sei eine Schande für den ganzen Berufsstand.“ Heute gibt er multinationalen Konzernen, die sich mit ihm zusammentun wollen, gerne einen Korb. Er will sich nicht hineinreden lassen. Der Autohersteller Hyundai wollte kürzlich mit ihm arbeiten: seine Häuser bauen und verkaufen, unter dem Namen Hyundai. Allerdings nicht nach seinen Bedingungen, was heißt, er hätte nicht die volle Kontrolle gehabt. Er sagte, was er in solchen Fällen gerne sagt: „Fuck you!“ So jedenfalls erzählt es Reynolds.


Die Südseite des Hauses ist die Heizung

Der Haustyp, auf dessen Dach er steht, ist seine neueste Entwicklung. Er heißt Global Model Earthship, Reynolds baut es inzwischen in Serie. Die Landschaft ist von Schnee bedeckt, doch hier auf dem Metalldach ist nur ein dünner Wasserfilm. Die Dachheizung funktioniert. Und aus dem Schnee wird Wasser für das Haus werden.

Die Heizung, das ist im Prinzip die Südseite des Hauses: eine einzige Fensterfront, auf die die Sonne den ganzen Tag scheint. Über der Fensterfront hängen die Solarpaneele, die das Haus mit Strom versorgen, daneben ein kleines Paneel, durch das Gefrierschutzmittel zirkuliert und das von der Sonne aufgeheizt wird. Deshalb, sagt Reynolds, liegt kein Schnee hier oben. Rohre durchziehen das abschüssige Dach.


Das Gefrierschutzmittel fließt hindurch und lässt den Schnee schmelzen. Das Schmelzwasser läuft dann durch einen ersten groben Filter und wird schließlich in Zisternen gesammelt, aus denen es dann in das geschlossene System des Hauses gelangt.


Hinter den Fenstern, im Innern des Hauses, wachsen in einer Art Gewächshaus Bananenpalmen und kleine Obstbäume. Sie wurzeln in einem mit Gummifolie ausgelegten Becken. Auf dem Beckengrund liegt eine Schicht Sand, darüber eine Schicht Geröll. Diese bepflanzten Becken sind die hauseigene Abwasserreinigung. Das Wasser aus Bad, Toilette und Küche wird zuerst von Exkrementen getrennt. Die landen in einem antiseptischen Tank, der neben dem Haus in der Erde vergraben ist. Das Wasser wird in die Pflanzenbecken geleitet. Dort sorgen Sand, Geröll, Erde und vor allem die Wurzeln der Pflanzen dafür, dass das Wasser sauber wird. Es wird dann noch durch drei Filter gepumpt, dann kann es wieder in den Wasserkreislauf eingespeist werden. Es riecht nicht unangenehm, vor allem die Erde in den Bassins erledigt das.


Wände aus Autoreifen

Reynolds steht, Blick in die Ferne, die geübte Pose des Visionärs, und zeigt mit den Händen ständig auf eine Funktion, die er sich ausgedacht hat. Die Rückwände des Hauses etwa bestehen aus alten, mit Erde gefüllten Autoreifen, die wie große runde Ziegel auf- und hintereinander gelegt werden. Drei Meter hoch, zwei Meter tief. Innen verputzt mit Lehm, nach außen mit Isolationsmatten abgedeckt und dann einem weiteren Meter Erde bedeckt. „Perfekte Thermalmasse“, sagt Reynolds voller Begeisterung, „der perfekte Wärmespeicher. Und alte Reifen gibt es auf der ganzen Welt mehr als genug.“ Hier in Taos kennt man ihn auf jedem Schrottplatz.

Das Haus funktioniert nach einfachen physikalischen und biologischen Gesetzen. Das wichtigste: Wärmeenergie wird immer vom wärmeren zum kälteren Körper hin übertragen. Wenn im Sommer also die Sonne durch die Fenster scheint und die Luft aufheizt, dann speichert die gut drei Meter tiefer liegende Hinterfront des Hauses diese Wärme. Kühlt die Luft in der Nacht ab, gibt sie die Wärme frei.

Das Ergebnis ist, dass selbst bei Minusgraden die Temperatur im Haus selten unter 23 Grad sinkt. Im Sommer sorgen Ventilationsschächte dafür, dass kühle Luft aus dem Erdreich des Reifenhanges, der das Haus umgibt, zieht und durch Dachluken abziehen kann. So kann man auch im Winter die Temperatur regulieren, wenn man es gerne etwas kälter hat. Warme Luft steigt nach oben und zieht kühlere Luft aus den Schächten. Das ersetzt die Klimaanlage.


„Das Haus kümmert sich um dich“

„Du bist vollkommen unabhängig“, sagt Reynolds. „Das Haus kümmert sich um dich.“ Es soll die sechs Bedürfnisse des Wohnens befriedigen, die Reynolds als die wesentlichen ausgemacht hat: Obdach, Abwasserversorgung, Strom, Wasser, Nahrung und Müllentsorgung. Alles gratis in seinen Häusern. Reynolds wäre nicht Reynolds, würde er jetzt nicht politisch. „Du brauchst keine großen Unternehmen oder korrupte Regierungen, die mit den Unternehmen unter einer Decke stecken und dich mit dem versorgen, was du brauchst – oder besser: von dem sie dir sagen, dass du es brauchst!“

Auch das ist ja eine Idee, die ihn angetrieben hat. Reynolds kann ausgiebig über die konsumgetriebene, nicht nach links und nach rechts schauende amerikanische Gesellschaft schimpfen. Es wirkt allerdings nicht, als würde er sich lange damit aufhalten, wenn jemand mit seinen Ideen nichts anfangen kann. Wer dabei ist, ist dabei. Wer nicht, der eben nicht. Reynolds will etwas verändern, klar. Aber er will nicht die Ordnung einer Gesellschaft umstürzen, wie die meisten Utopisten. Den Begriff Utopie mag er gar nicht. Er sagt, er will, dass es Menschen besser geht, damit er in ihrer Gegenwart eine gute Zeit hat. „Wenn die Leute gute Laune haben, dann geht es mir nun mal besser. Ich bin ein großer Egoist.“


Reynolds steigt die Rückwand des fast fertigen Hauses hinunter und geht hinein. Bohrmaschinen und Kreissägen kreischen. Er führt mit seinen Handwerkern ein paar kurze Gespräche über Fußbodenversieglung, zu pflanzende Bananenpalmen und Trauben und Lehrvideos, die gedreht werden müssen. Denn man macht zwar keine Werbung, aber auf Facebook und YouTube versucht seine Firma Earthship Biotecture das Wissen um das Bauen mit Reifen und Flaschenziegeln, das Filtern des eigenen Abwassers, mit der Welt zu teilen.


500.000 Dollar für ein Haus

„Da“, sagt Reynolds, während er durch das Wohnzimmer stapft und auf eine frisch verputzte Wand deutet, „kommen die Flachbildfernseher hin. Amerikaner denken, sie brauchen die. Und wir wollen ja den durchschnittlichen Hauskäufer überzeugen.“ Rund 500.000 Dollar kostet das Global Model Earthship, schlüsselfertig. Das ist etwa der Preis, den ein Käufer in den USA für ein vergleichbares konventionelles Haus bezahlt. „Hier hat er aber keine weiteren laufenden Kosten“, sagt Reynolds. Die einfachen Ausführungen kann man für knapp 200.000 Dollar bauen.


Reynolds’ Kunden sind Leistungssportler, Architekten, Schauspieler, Rentner. Er baut in New Mexico durchschnittlich drei neue Häuser im Jahr, die er vermietet oder verkauft. Dazu mehrere Häuser irgendwo verstreut in den USA. „Es gibt glaube ich keinen Staat, wo jetzt keines steht“, sagt Reynolds. Zurzeit ist eines in New York in der Genehmigungsphase: Ein Hausbesitzer in Manhattan will auf dem Dach seines zehnstöckigen Hauses ein Earthship bauen lassen.

Reynolds steigt in seinen braunen 1975er-Mercedes und fährt zu einem Gebäude, das an einer Schlucht liegt und aussieht wie eine Nautilus-Muschel, die sich in den Himmel windet.

Häuser, so sieht es Reynolds, müssen nicht in erster Linie perfekt aussehen. Sie müssen perfekt funktionieren. Trotzdem, er hat das Design seit den Anfangstagen verändert. Ist ja nicht so, dass er sich gar nicht nach den Wünschen seiner Kunden richtet. Seine frühen Häuser hier in New Mexico sind eine Mischung aus traditionellem Pueblo-Lehm-Stil, gemischt mit den Visionen Gaudís und Tolkiens. Rund, verrückt und manchmal auch überladen. Sein Global Model, die neueste Entwicklung, wirkt dagegen glatt, funktional, schlicht, für Earthship-Verhältnisse jedenfalls.


Das Haus ist „wie ein Mercedes“

Die Muschel, vor der Reynolds sein Auto geparkt hat, gehört noch in die alte Zeit. Runde Formen, Türmchen, Außentreppen. „Ein Scheiß-Haus“, sagt Reynolds, „es bringt nicht besonders viel Leistung, aber die Kunden wollten es so.“ Ein reiches Paar hat ihm mehrere Millionen Euro gezahlt. „Die wollten hier ein Yoga-Zentrum eröffnen.“ Sie gingen pleite. Reynolds kaufte das Haus für 250.000 Dollar von der lokalen Bank. Deren Direktor, ein guter Freund, sagte: „Du kennst es, du hast es gebaut, bitte kauf es.“ Reynolds ließ sich einen Kredit geben. Jetzt ist es sein Büro.


„Das Global Model ist wie ein Mercedes“, sagt Reynolds, während er in einen pyramidenförmig endenden Turm steigt, in dem sein Schreibtisch steht. „Es ist wie eine hoch entwickelte Maschine. Wir können das Global Model an verschiedene klimatische Bedingungen anpassen.“

Eine Maschine zum Leben. Das ist Le Corbusier, der Urvater der architektonischen Moderne. Ein Haus sei eine Maschine zum Leben, sagte der. Man tritt Reynolds nicht zu nahe, wenn man sagt, dass seine Häuser vieles sein mögen, aber eines ganz sicher nicht: elegant. Gemessen an den Standards zeitgenössischer Architektur sind sie sogar plump. Sie sind nicht geräumig. Sie haben keine klaren Linien, keine Schlichtheit. Sie sind, trotz Fensterfront zur Südseite, nicht einmal besonders hell. Denn die Pflanzen dahinter, und die zweite Fensterfront, die das Gewächshaus nach hinten abschließt, schlucken viel Licht, bevor es ins Innere durchdringen kann.


Reynolds betrachtet die ästhetische Frage aus einer anderen Perspektive. Er sagt: Die Verschwendung, die mit einem konventionellen Haus einhergeht, macht es hässlich. Die Form der Earthships wird von funktionalen Notwendigkeiten diktiert. Das Ergebnis: die Schönheit des Funktionalen. Etwas, das in der Ersten Welt genauso funktioniert wie in der Dritten, in den Tropen oder bei Minusgraden. Ein Welt-Haus, wenn man so will. So was, sagt Reynolds, kann nicht aussehen wie Frank Lloyd Wright. Dass er das so sieht, hat viel mit seinen Anfängen zu tun.


Das erste Haus aus Dosen

1969, Reynolds, damals gerade Absolvent der Uni, wollte nicht in den Krieg nach Vietnam, er wollte Motorradrennen fahren. Er lebte in Cincinnati. Ein Kommilitone zeigte ihm Bilder aus Taos, einer kleinen Stadt in der Steppe im Norden New Mexicos, Lehmhäuser, qualmende Schornsteine. Motorradrennen wurden dort auch gefahren. Reynolds packte sein Hab und Gut und zog nach Taos. Er hatte schon an der Uni gemerkt, dass er in der konventionellen Architektur nur schwer Fuß fassen würde. Er fuhr also Motorrad-Rennen, gewann, verletzte sich. Er lehrte dann erst mal technisches Zeichnen, um dem Krieg zu entgehen.

Im Jahr 1971, nachdem er im Fernsehen eine Dokumentation über das entstehende Müllproblem gesehen hatte, baute er das erste Haus aus Dosen und entwickelte von nun an sein Konzept weiter. Immer wenn er in den Medien von neuen Problemen hörte, machte er sich daran, eine Lösung zu finden. Energieprobleme, Wasserverschmutzung, irgendwann waren Reynolds’ Häuser vollkommen unabhängig und verursachten keinerlei Umweltverschmutzung.

Er lebte in der Wüste und baute sich eine Meditationspyramide, band sich auf deren Spitze fest, hatte Visionen, sah Zauberer und schrieb Bücher darüber. „Es waren die Siebziger“, sagt Reynolds und grinst sein breites Grinsen. Er nahm gerne Drogen, LSD vor allem.


Dreck, Tränen und Blut im Gesicht

LSD, ein gutes Stichwort. Der Droge hat er seinen ersten großen Deal zu verdanken. Die Geschichte spielt Mitte der 70er-Jahre. Eine der typischen Reynolds-Geschichten, verschlungen, deren Wahrheitsgehalt man nur schwer bestimmen kann. Sie handelt von einem Trucker, seiner Ex-Frau und von Zufällen, die das Leben bereithält.


Reynolds erzählt diese Geschichte, in seinem Büro über Baupläne gebeugt, mit der Routine eines Schauspielers, der alle Facetten seiner Rolle in unzähligen Vorführungen ausgelotet hat.


Er baute damals Häuser auf einer Parzelle. Die Nachbarn mochten das nicht. Und eines Tages, es war das ländliche Amerika der Siebziger, war er mit dem Auto unterwegs, seine Frau auf dem Beifahrersitz, als ihn ein Truck von der Piste drängte. Unfall. Reynolds kletterte aus seinem Auto, rannte dem Truck hinterher, der fuhr bergauf und wurde immer langsamer. Als Reynolds die Höhe des Fahrerhäuschens erreicht hatte, sprang er auf, zog den Fahrer aus dem Wagen und verprügelte ihn. Seine Frau war schockiert. Am nächsten Morgen stieg sie in ihren Chevy und wollte sich davonmachen. Reynolds wollte sie daran hindern. Er sprang auf die Motorhaube, das Auto schlingerte aus der Einfahrt hinaus, er krachte in einen Zaun. Dreck, Tränen und Blut im Gesicht . Er sah, wie sie in einer Wolke aus Staub verschwand.


Sie fuhr nach Austin, Texas. Meldete sich bei ihm. Forderte die Scheidung, mal wieder. Eine Ehe wie eine Achterbahnfahrt. Sie waren dreimal verheiratet und wurden dreimal geschieden. Er folgte ihr nach Austin, blieb dort eine Weile, arbeitete auf dem Bau und hielt Vorträge. Und bei einem dieser Vorträge sprach ihn eine Gruppe von Frauen an. „Eine Art Lesbenzirkel.“ Sie boten ihm an, ihn finanziell zu unterstützen, mit 150.000 Dollar im Jahr. Er solle eine kleine Siedlung bauen und könne dabei so viel experimentieren, wie er wolle.

Reynolds lehnte drei Mal ab. Er war immerhin Michael Reynolds. Als die Gruppe ein viertes Mal anfragte, sagte er zu. Er baute für sie eine Siedlung namens Rolor. Irgendwann erfuhr er, woher das Geld der Gruppe kam. „Sie produzierten und vertrieben LSD in Texas. So genanntes Micky-Mouse–Acid.“ Sie machten eine Menge Geld, einen Teil davon wuschen sie mit seinen Earthships und gaben ihm so die Möglichkeit, einen großen Sprung in der Entwicklung des Konzepts zu machen. Reynolds amüsiert sich bis heute prächtig, wenn er davon erzählt.


Schon seit diesen frühen Jahren scharte sich eine stetig wachsende Gruppe von Aussteigern, Querdenkern und Aktivisten um ihn, die ihre eigenen Earthships bauten und begannen, für ihn zu arbeiten. Ein paar der frühen Mitstreiter gehören noch immer zu seinem Team. Mitte der 90er-Jahre jedoch beendeten die Stadtverwaltung und die Architektenkammer in Taos Reynolds’ Experimente. „Sie meinten, meine Gebäude verstießen gegen alle Bestimmungen und staatlichen Normen.“ Man entzog ihm seine Lizenz und schloss seine Siedlung, da sie nicht den Parzellierungsvorschriften entsprach.


Einfach mal den offiziellen Weg gehen

Reynolds steigt aus seinem kleinen Büroturm herunter und läuft durch die lichten Räume seines Bürokomplexes. Ein Dutzend Freiwillige sitzen an Tischen. Das Interesse an seiner Firma wächst und wächst. Er sagt: „Meine Lizenz war mir nicht wichtig, aber ich wollte weiter bauen.“


Er beschloss, einfach einmal den offiziellen Weg zu gehen. Setzte sich mit seinem Anwalt zusammen. Fand eine Abgeordnete, die sich seiner Sache annahm. Und zusammen brachten sie in Santa Fe, der Hauptstadt New Mexicos, einen Gesetzesentwurf ein, der experimentelles Bauen ermöglichen würde.

„Es ist absurd“, sagt Reynolds, als er das Büro verlässt und in seinen rostigen Mercedes steigt. „Wir testen Flugzeuge, wir testen Waffen, wir testen Medikamente, wir testen Atombomben, und bei all dem sterben Leute. Aber Häuser sollte man nicht testen dürfen?“ Er kämpfte fast zehn Jahre, bis 2006 der „Sustainable Development Testing Sites Act" verabschiedet wurde. Seither baut er wieder.


Es gibt jetzt vor den Sangre de Cristo Mountains drei Earthship-Siedlungen. Seine Lizenz hat er allerdings immer noch nicht. Er lässt seine Pläne von befreundeten Architekten unterschreiben. Außerdem kann man nicht nur in den USA bauen, sondern überall auf der Welt. „Mir fiel aber vorher schon irgendwann auf, dass ich in vielen Ländern dieser Welt mehr oder weniger bauen kann, wie ich will“, sagt Reynolds und parkt seinen Wagen vor einem zweistöckigen Haus, das sie hier die Towers nennen und hinter dessen Fensterfront man einen Fischteich sehen kann und ein paar junge Frauen, die rauchend über Bücher gebeugt sitzen.

Häuser für Krisengebiete

In den 80ern war Reynolds im Auftrag einer christlichen Missionierungsgruppe nach Bolivien gegangen, um eine frühe Form des Earthships zu bauen. Und als im Dezember 2004 ein Tsunami weite Landstriche Südostasiens verwüstete, kam ihm eine Idee. Die Menschen dort brauchten schnell billige Unterkünfte aus vorhandenen Materialien, und es gab keine Bauregulierung. Da begann Reynolds, seine Häuser in Krisengebieten zu bauen. In Haiti, auf den Philippinen, in Malawi, in Chile und Honduras. Wo auch immer Not war.


Gerade war er auf den Osterinseln, dann geht es auf die Philippinen, danach nach Argentinien. Das nächste große Projekt sind Häuser für die indigenen Völker Kanadas. „Die Regierung drängt sie immer weiter nach Norden, und sie erfrieren dort in ihren Hütten.“ Reynolds hat ein Earthship-Modell entwickelt, das selbst bei wenig Licht und Außentemperaturen von 20 Grad minus noch Temperaturen über 13 Grad hält.


Reynolds stapft mit seinen weiten Stiefeln durch den Schnee, direkt auf eine Ansammlung von Häusern zu. Er rückt die Schaffellmütze auf seinem Kopf zurecht, zeigt auf die Häuser und sagt: „Das ist die Zukunft.“ Sein Campus, eine Ansammlung von Earthships. Seine Produktpalette, wenn man so will. Ein paar seiner simplen Survival-Modelle stehen hier, Kosten: 25.000 Dollar, er hat sie in Afrika entwickelt. Dazu ein paar ältere normale Modelle, ein großes zweistöckiges Gebäude, gebaut aus Lehm und Glasflaschen, in dessen Böden sich nun die Nachmittagssonne in bunten Farben bricht. Da wohnen seine Studenten drin. Fünf Lehrgänge sind es dieses Jahr, pro Lehrgang werden bis zu 60 Studenten zugelassen. Jahr für Jahr kamen immer mehr Wissbegierige.

Reynolds konnte unmöglich allen Praktika oder Freiwilligenstellen anbieten. Er wollte, dass seine Ideen ihm gehören. Aber er wollte auch, dass sie sich verbreiten. Er weiß: Nicht einmal er wird ewig leben. Also hat er vor vier Jahren seine Academy gegründet. Rund 500 Absolventen gibt es bereits. Reynolds nennt sie seine Earthship Army. Sie tragen das Wissen um die Earthships in die Welt.


Außerdem bringt die Akademie ihm das Geld ein, das er für seine Auslandsprojekte braucht. Wann immer er und seine Crew irgendwo in den weniger regulierten Teilen dieser Erde ein Haus bauen wollen, schreiben sie fünfzig Freiwilligenstellen aus. Durchschnittlich bewerben sich dann 300 Leute. Die 50, die angenommen werden, zahlen jeweils 1000 Dollar, ihre eigenen Flüge und ihre Unterkunft. Diese 50.000 Dollar finanzieren dann für Reynolds das Projekt.

Reynolds findet das okay. Warum auch nicht. „Ich kann meine Crew in Gebiete fliegen, wo sie gebraucht wird. Die jungen Leute lernen etwas, und es laufen massig schöne Frauen auf den Baustellen rum, was wiederum meine Crew freut.“ Breites Reynolds’sches Cowboygrinsen.


Ein Earthship in Deutschland

Am nächsten Nachmittag sitzt Sara Serodio im Erdgeschoss von Reynolds Bürokomplex, in einem Raum, der ein wenig nach Tropenhaus reicht. Serodio ist Portugiesin, sie hat in Berlin studiert, Architektur, an der Universität der Künste, dann kam sie zu einem von Reynolds’ Lehrgängen. Nun ist sie da, um von Reynolds Baupläne absegnen zu lassen für ein Earthship, das sie im Auftrag eines Paares in Nauen bei Berlin bauen wird. Es gibt noch ein paar andere Projekte in Deutschland.


Eine Gruppe namens Schloss Tempelhof, eine Lebensgemeinschaft von Aussteigern und Unternehmern in Schwaben. Und im Allgäu gibt es eine Gruppe, die ein Earthship als Gemeindehaus bauen will. Sie wollen allerdings keinen Müll verbauen. Reynolds will deshalb mit dem Projekt nichts zu tun haben. Serodio ist die einzige in Deutschland, die offiziell mit Reynolds zusammenarbeitet. Sie ist diejenige, der er zutraut, Häuser von der Qualität zu bauen, wie sie hier in New Mexico stehen.

„Die Leute“, sagt Reynolds, „selbst einige unserer Absolventen, denken, sie könnten das Rad neu erfinden. Wir haben hier 40 Jahre Erfahrung – wenn wir ein Haus bauen, dann ist garantiert, dass es funktioniert.“ Er hat sich deshalb den Begriff Earthship schützen lassen. Ebenso Biotecture, so nennt er seine Form der Architektur. „Die Leute bauen auf der ganzen Welt Häuser wie wir. Aber sie haben keine Ahnung, wie man es richtig macht.“ Er sagt das nebenbei, als müsse man es eigentlich kaum erwähnen, während er mit Serodio ihre Baupläne erörtert.


Es ist ein bisschen lustig, dass Reynolds’ Häuser bald auch in Deutschland stehen sollen. Ein Mann, der Bauvorschriften hasst, baut in einem Land, in dem es so viele und so komplizierte Baugesetze und Vorschriften gibt wie vermutlich nirgendwo sonst in der Welt. Sara Serodio, seine Statthalterin, sagt: „Ich habe gerade in Schweden und in Portugal welche gebaut und es wurden uns da keine großen Hindernisse in den Weg gelegt.“ Warum sollte es in Deutschland anders sein? Außerdem, so erzählen es ihre Kunden in Nauen, gebe es ja auch Wege, das Bauen mit Müll anders zu etikettieren. Statt Reifen, werde man sagen, man baue mit runden Gummiziegeln. Nach den ersten Gesprächen mit den Behörden sind sie optimistisch, nächstes Jahr anfangen zu können.


„Sara hat es kapiert“, sagt Reynolds. Er will drei Projekte mit ihr zusammen in Deutschland machen, bis sie dann ganz offiziell seine deutsche Repräsentantin wird. In vielen anderen Ländern läuft es schon so. Er hat genug Absolventen. Außerdem hat er angefangen, in Hotellerie zu machen. Sieben seiner Earthships vermietet er an Touristen. Der Reiseführer Lonely Planet wählte sie in die Top 10 Eco-Stays weltweit. Zudem schreibt Reynolds Bücher und verkauft Baupläne.

„Ich mache es nur nicht, wenn es für Geld ist“

Zurzeit, sagt Reynolds, rede er mit der philippinischen Regierung, die interessiert daran ist, sein neues Zero Cost Earthship in großem Stil zu reproduzieren. Ebenso das große Modell, ein Taifun-Schutz für 80 Menschen, das sogenannte Windship. „Klar sind auch Regierungen ziemlich fucked up, aber ich gehe mit Leuten ins Bett, wenn es für die Menschen ist. Ich mache es nur nicht, wenn es fürs Geld ist.“ Es gibt für ihn also gute Kompromisse und schlechte Kompromisse. Kompromisse mit dem großen Kapital waren bisher offenbar schlechte Kompromisse.


Reynolds sitzt inzwischen wieder im Auto, um zu seinem letzten Termin zu fahren. Margaritas im „Taos Inn“. Wie jeden Tag.

„Ich bin nicht reich“, sagt er. Seine Firma Earthship Biotecture mache keinen Profit.

Reynolds verkauft meistens nur so viele Häuser wie nötig, um den Betrieb am Laufen zu halten. Gehalt für jeden Mitarbeiter. Reynolds selbst: 4000 Dollar brutto im Monat. Laufende Kosten: rund 100.000 Dollar im Monat.

Die Hotel-Earthships bringen im Jahr rund 300.000 Dollar. Verkauft er ein Haus, sind das 500.000 Dollar,. Verkauft er drei, sind das 1,5 Millionen. In Jahren mit vielen Projekten, bei denen er draufzahlt, verkauft er halt drei Häuser im Jahr. Dazu kommt noch etwas Geld aus den Tantiemen der Bücher und dem Verkauf von Bauplänen.

Reynolds vergleicht seine Firma gerne mit einem Heißluftballon: „Wenn man den Ballast abwirft, dann geht es steil nach oben. Und Profitgeilheit ist nichts anderes als Ballast. Sie verstellt den Blick auf Visionen. Wir sind vollkommen frei zu tun, was wir wollen.“ Er überlegt kurz, grinst. „Also was ich will. Ich bin die Firma.“

Seine Abneigung gegenüber dem Profitdenken ließ auch zwei Chinabesuche scheitern, die die Regierung in Peking organisiert hatte. „Die wollen alles besitzen“, sagt er. Soll heißen, sie stellten Forderungen an ihn. Er sagte: „Nehmt es oder lasst es“, stieg in den nächsten Flieger und dachte: „Die sind verrückt in China.“ Sein Missmut geht aber nicht so weit, dass er den Plan, mehrstöckige Häuser in Chinas Städten zu bauen, aufgibt.


Man muss ihn nicht verstehen

Am Abend im „Taos Inn“, einer alten Kneipe im Zentrum der kleinen Stadt erzählt Reynolds noch eine letzte dieser typischen Michael-Reynolds-Geschichten. Diese soll erklären, warum ihm all die großen Konzerne gleichgültig sind.

Er kam vor 20 Jahren in die Gegend. Er wohnte in einem alten Haus. Und dann gab es diesen besonderen Abend. Sie saßen alle an einem großen Tisch, er und ein paar Bekannte aus dem Ort. Kerzenlicht, eine nach allen Seiten offene Feuerstelle. Sie rauchten Dope in Wasserpfeifen und tranken Jack Daniels, als es an der Tür klopfte und ein Mann eintrat, den niemand kannte.

Der setzte sich an den Tisch, nahm halbherzig an der Unterhaltung teil, zog einen Apfel und einen Messer aus seiner Tasche. „Er schnitzte eine wunderschöne Apfelpfeife“, sagt Reynolds. Der Fremde holte einen Beutel Haschisch aus der Tasche, stopfte die Pfeife, rauchte, ließ sie herumgehen. „Mann, wir rauchten eh schon Gras und tranken Schnaps, aber das hat den ganzen Tisch umgehauen.“ Irgendwann stand der Fremde auf, packte seine Sachen und ging. Am nächsten Tag gingen sie ihn suchen.

Er war der Mann, dessen Stoff besser war als der aller anderen. Sie kauften ihm alles ab, was er hatte. Das ist die Moral der Geschichte, der Grund, warum Reynolds sie erzählt. Der Fremde ist wie er. Man muss ihn nicht verstehen. Man muss nur wissen, dass er die beste Ware anbietet.

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